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Neustart mit 60plus: Kann der Quereinstieg gelingen?

Jeder zweite Mensch im Ruhestand möchte weiterarbeiten. Viele nutzen die Chance, nicht mehr zu müssen und nunmehr zu dürfen, um sich selbst zu verwirklichen. Der Brotjob macht der wahren Leidenschaft Platz. Endlich!

Ein Quereinstieg in ein völlig neues Feld im Ruhestand verspricht, ein Abenteuer zu werden.

Jedem Anfang wohnt schließlich ein Zauber inne. Aber jeder Neuanfang birgt auch ein gewisses persönliches Risiko.

Dr. Franz Kolland, viel zitierter österreichischer Soziologe und Gerontologe, forscht seit Jahrzehnten zu Alter. Er weiß: Im Ruhestand aktiv zu bleiben, gehöre heute zum guten Ton.

„Da gibt es den berühmten Pensionisten-Gruß. Der geht so: ,Ich habe keine Zeit'“.

Busy im Alter

Die amerikanische Gerontologie pflegt dafür sogar einen eigenen Begriff: busy ethic. Er steht für eine häufig zu beobachtende, nahezu willkürliche Hyperaktivität von Menschen 60+. Bei vielen funktioniere dieser Zustand der selbstauferlegten Unruhe gut – vorrangig Männern sei es wichtig, weiterhin volle Terminkalender zu haben, sagt Kolland.

Leider sei vielen egal, welcher Natur diese Termine sind. „Wir sehen, dass viele Aktivitäten ohne Sinn sind. Heißt also, wenn die Menschen ihre Pension planen, sollten sie immer im Blick behalten, dass ihre weitere Tätigkeit eine sinnerfüllende ist.“ 20 Volkshochschulkurse in unterschiedlichen Gebieten zu belegen, sei auf Dauer jedenfalls keine Bereicherung.

Wie sollten die Aufgaben im Ruhestand also sein? 

„Es muss etwas mit dem eigenen Leben zu tun haben. Wenn man nicht an etwas anschließt, für das es im eigenen Leben bereits eine Basis gibt, wird das nichts.“

Ist der Quereinstieg im Ruhestand also eine Illusion?

„Er ist schwierig“, sagt Kolland. „Neueste Forschungen zeigen aber: er ist möglich.“ Der Soziologe spricht hier die sogenannte Kontinuität des Alters an. Was so viel heißt, wie: Das, was Menschen um die 50 machen, werden sie höchstwahrscheinlich auch im Alter weiter machen.

Laut Forschungen machen jedoch 20 Prozent der Über-60-Jährigen im Ruhestand etwas ganz anderes, als davor.

Ein ganzes Fünftel der Älteren traut sich also, beruflich neu anzufangen. „Die anderen 80 Prozent machen, was sie bereits kennen – oder auch nichts. Die Mehrheit setzt jedenfalls stark dort an, wo sie früher war“, sagt Kolland.

Neustart im Ruhestand

Die Erklärung für radikale Veränderung im fortgeschritteneren Alter liefert die psychogerontologische Forschung. Sie hat herausgefunden, dass sich 20 bis 25 Prozent der über 75-Jährigen grundlegend in ihren Persönlichkeitseigenschaften ändern. Wie das?

„Ein zuvor extrem stark introvertierter Mensch wird plötzlich extrovertiert oder jemand der kontrollorientiert war, lässt los“, erklärt Franz Kolland. Er betont, dass Lebensweisen individuell seien und eine – oder gar zwei – Generationen nicht einfach über einen Kamm geschert werden könnten: „Eine homogene Gruppe der ,Alten‘ gibt es einfach nicht.“

Wo lohnt sich der Quereinstieg?

Hat jemand 40 Jahre bei voller Beschäftigung in einem Job verbracht, braucht er allerdings Geduld mit sich selbst, um einen Übergang in eine neue Tätigkeit hinzukriegen. „Da braucht es neue Fähigkeiten, eine Anpassung an ein neues Einkommen – das sind schon Herausforderungen“, so Kolland.

Doch es funktioniert. Bei der österreichischen Handelskette Leiner etwa hat man ältere, arbeitslos gewordene Schneiderinnen für den Verkauf von Vorhängen umgeschult. Mit Erfolg. Der Gerontologe weiß. „Es gibt bestimmte Berufe, die nicht mehr so stark nachgefragt werden. Man kann in einem neuen Segment eine gleichwertige Tätigkeit finden.“

Senior Connect-Tipps

Mit welchen Fähigkeiten kann man einfach in eine neue Branche umsteigen? Welche Jobs kann man mit einer gewissen Vorerfahrung vom Fleck weg machen?

👥Kommunikation

Ein guter Job für alle mit technischem Interesse und Spaß am Kommunizieren ist der Social Media Manager. Für ehemalige Journalisten, Lehrer, Texter, Berater, PR-Experten, Manager, Werber oder Sprachwissenschaftler ist es sicherlich ein Leichtes, auf den Punkt mit einer Zielgruppe zu kommunizieren.

Aber auch langjährige Experten und Fachkräfte können mit ein wenig Fingerspitzengefühl gute Multiplikatoren in der PR werden. Social Media ManagerInnen werden heute in nahezu jedem Betrieb in der Privatwirtschaft ausgeschrieben, aber auch NGO und öffentliche Einrichtungen suchen nach den passenden Bewerbern. Das Gute: Weiterbildungsinstitute haben ein großes Angebot auf diesem Bereich – auch, wenn man von Null weg startet.

👩🏼‍🏫Consulting und Unterricht

Wer in seinem aktiven Arbeitsleben Berater, Manager, Verkäufer, Vortragender, Schauspieler, Musiker, extrovertierte Fachkraft oder Lehrer war, hat gute Voraussetzungen, beim Unterrichten oder mit Consulting seine Expertise weiterzuarbeiten.

👨🏼‍💼Sales

Wer in seiner aktiven Karriere im Sales, Management oder der Beratung tätig und geübt im Kundenumgang war, ist für Firmen Gold wert. Diese Branche lebt von guten Kontakte, Vertrauen und Erfahrung – egal, ob es um den Teilzeit-Job im Verkauf von Hochöfen in der Schwerindustrie geht oder den kompetenten Berater im Verkauf von medizinischen Schuheinlagen.

👩🏽‍🍳Gastronomie & Hotellerie

Saisonale Jobs – etwa als MitarbeiterIn an der Rezeption, am Frühstücksbuffet eines kleinen Hotels oder in der Bewirtschaftung von Land und Tieren – sind immer ein Thema. Vor allem am Land, in Urlaubs- und Erholungsgebieten kann man sein Glück finden. Jobs in der Gastronomie und Hotellerie eignen sich auch als geringfügige Beschäftigung.

👩🏻‍🎤Etwas ganz anderes

Es lohnt sich, den Jobmarkt im Auge zu behalten. Womöglich springt dir im Internet oder in der Zeitung ein Arbeitsplatz entgegen, von dem du noch gar nicht weißt, dass es ihn gibt – oder dass er für dich infrage kommen würde.

Klaudia Bachinger

Ich bin eine kollaborative und kreative Unternehmerin, die es liebt, glaubwürdige Marken, menschenorientierte Produkte und leistungsstarke Teams aufzubauen. Ich habe mehr als 7 Jahre in der Film- und Medienbranche gearbeitet und 5 Jahre als Gründerin und CEO in der HR-Tech-Branche. Heute berate ich Unternehmer, um ihren Führungsstil zu finden, mit Authentizität zu inspirieren und einen kulturellen Wandel herbeizuführen - basierend auf meiner Überzeugung "bewusster Kapitalismus braucht bewusste Führung".